Welcome To New York – Tag 9: Einmal quer um die Welt

Nachdem ich am achten Tag in New York die Freiheitsstatue unsicher gemacht habe, ging es am neunten und damit letzten vollständigen Tag im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zunächst einmal nach Brooklyn. Denn auf dem heutigen Plan stand die Brooklyn Bridge, Brooklyn Heights and DUMBO Tour, die um 10 Uhr am City Hall Park begann. Vorbei am historischen Rathaus der Stadt New York ging es dabei auf die Brooklyn Bridge, die wohl berühmteste Brücke der Stadt, die ich aus der Entfernung und bei Dunkelheit bereits am ersten Abend gesehen und am Wochenende mit dem Auto passiert hatte. Die Brücke hat eine Gesamt-Fußlänge von über einer Meile, sodass wir mit Zwischenhalten, Fotos und Erklärungen insgesamt eine knappe Stunde gebraucht haben. Die war es allerdings wert und nirgendwo mehr als hier pflegte ich den Grundsatz, den mir Bart des Öfteren erwähnt hatte: Sich beim Erkunden auch einmal umdrehen und die Dinge und Gegenden von der anderen Seite betrachten. Denn blickte man nicht in Richtung Brooklyn, in die wir gingen, sondern drehte sich um, erschien auf der linken Seite die Skyline von Manhattan in einer ganz anderen Perspektive als zum Beispiel im John Street Park, wo ich Bart am ersten Abend getroffen hatte. Sah man die Skyline dort vom Boden der Tatsachen aus, war man hier etwas abgehoben. Das sorgte in einer Form zwar dafür, dass die Gebäude nicht mehr so hoch vorkamen, trotzdem war der Blick imposant.

Momentaufnahme vom ersten Betreten der Brücke - zwei weitere sollten noch folgen...
Die Skyline

Fußgänger vs. Fahrradfahrer

Der Weg über die Brücke selbst symbolisierte auf eine Art und Weise, wie ich es noch nie gesehen habe, den „Krieg des Fußweges“ zwischen Fußgängern und Radfahrern. Denn im Gegensatz zu „gewöhnlichen“ Brücken waren Fuß- und Radwege nicht neben dem Autoverkehr platziert, sondern darüber. Und auch wenn man dadurch rein theoretisch unfassbar viel Platz hätte für einen breiten Weg, war er es durch die Brückenkonstruktion nicht: Lediglich zwei Personen konnten nebeneinander gehen und blockierten damit auch schon den Fußweg für den Gegenverkehr. Die Fahrradspur war genauso groß (hier in einem Video zu sehen) und Alicia, die schon die Tour über Liberty und Ellis Island gemacht hatte, hatte uns vor Betreten der Brücke ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir die Fahrradspur nicht betreten sollten, außer es wäre absolut notwendig.

An der Brooklyn Bridge fand man auch das Hohenzollernbrücken-Phänomen wieder: Leute, die sich aufgrund von Liebe, Freundschaft oder anderen Gründen am Brückengitter mit einem Anhänger verewigen. Während das in Köln zumeist ein Schloss ist, waren es an der Brooklyn Bridge in erster Linie Kopfhörer. Ein buntes Kabelwirrwarr am Gitter, welches meiner Meinung nach zwar interessant aber im Vergleich zu den Schlössern doch eher komisch ausschaut – insbesondere durch die fehlende Ordnung.

Kopfhörer und Bänder statt Schlössern
Hallo Abraham Lincoln :D

Nach einem Streifzug durch DUMBO, also Down Under the Manhattan Bridge Overpass machten wir dort eine kleine Pause bei „Mr. Chocolate“. Im Café von Jacques Torres konnten wir nicht nur die Toiletten benutzen, sondern gleichzeitig auch die schokoladigen Kunstwerke bewundern und Cookie-Stückchen probieren. Kaufen wollte ich da nichts, wer jedoch auf der Suche nach leckerer Schokolade im etwas versteckten New York ist, wird hier definitiv fündig.
Unter der Brooklyn Bridge durch landeten wir in Brooklyn Heights. Das sehr nobel wirkende Viertel war geordneter und gerader als manch andere Stadtteile der Stadt, auch die Häuser wiesen einen besseren Zustand auf. Außerdem war es in diesen Straßen totenstill. Bevor es zum Ende der Tour an die historische Plymouth Church ging, hatten wir aber noch eine Chance, den Ausblick auf Manhattan zu genießen: Nach dem Weg von der Brücke über die Columia Heights gab es auf Höhe der Kreuzung mit der Orange St eine Einbuchtung, wo ein Fußweg in Uferrichtung begann. Dieser wurde nach zwei Kurven zu einem großen Plateau, von dem man über die Interstate 278 hinweg einen wunderschönen Blick auf das Ufer, das Wasser und die Skyline erhaschen konnte.
Die dreistündige Tour und damit zwei interessante Tage mit Alicia endeten anschließend an der bereits erwähnten Plymouth Church, deren unscheinbare Grünfläche von einer Skulptur von Abraham Lincoln „bewacht“ wurde.

Finanzielle Probleme?

Da der Mittwoch den 21. September darstellte und ich damit seit eigentlich drei Wochen am Stück unterwegs war, ließ meine körperliche Kraft hier mittlerweile ein wenig nach und ich beschloss wieder auf mich allein gestellt zunächst, es mir am eben erwähnten Plateau bequem zu machen. Dafür sorgten einige Bänke, zum Glück gab es auch ein paar im Schatten, denn nach den acht Tagen hatten die im wahrsten Sinne des Wortes herausragenden Teile meines Körpers bereits einen roten Farbton angenommen. Insgesamt über zwei Stunden verbrachte ich dort und nutzte die Zeit zum Schreiben von 27 Postkarten (und wer meine Postkarten kennt, weiß was das bedeutet… xD) ehe es wieder nach Manhattan ging. Blöderweise waren meine 7 Tage MetroCard für die Subway abgelaufen, ich hatte zu wenig auf der Karte aufgeladen, um eine $2.75-Fahrt antreten zu können und Alicia den größten Rest meines übrigen amerikanischen Bargelds gegeben, sodass ich auch aufgrund der nicht vorhandenen Kreditkarte (bzw. wusste ich den PIN nicht mehr, das war mir aber schon vor Abflug bewusst) keine Möglichkeit hatte, mit der Subway zu fahren. Daher führte der Weg zurück nach Manhattan so, wie er nach Brooklyn führte – über die Brooklyn Bridge.

Panorama-Ansicht von Brooklyn Heights

Wer nun denkt, ich wäre hilflos aufgeschmissen ohne Finanzen, der hat sich in mir getäuscht, denn die Situation war mir schon am Abend zuvor bewusst, so hatte ich einige Euros mitgenommen und mir die Adresse einer Wechselstube nahe des One World Trade Center herausgesucht, wo ich nun zunächst etwas gegen die Leere im Portemonnaie tat. Es folgte ein Besuch beim Post Office, wo ich mich mit Briefmarken eindeckte, ehe es mit der Subway wieder nach Norden zu meinem Lieblingsort ging, dem Times Square. Denn ich wollte nochmal in den Disney Store, um mir die Minnie Maus zu kaufen, die ich dort am siebten Tag erblickt hatte, außerdem standen noch ein paar Souvenirs auf der Einkaufsliste. Leider gab es die Plüschfigur nicht mehr, aber zumindest die anderen Sachen konnte ich erledigen und machte mich vom Times Square zum Fotostudio von Bart, denn wir hatten uns zu meinem letzten Abend in der Stadt noch einmal verabredet.

Unterwegs ohne Ziel und Plan

Nachdem er mir ein wenig das Fotostudio gezeigt hatte, „entführte“ er mich auf das Dach des Gebäudes, von wo man eine noch einmal andere Sicht auf die Stadt bekam, weil man hier wieder so weit weg vom Lärm der Straßen und Fußwege war, gleichzeitig diese aber doch in nächster Nähe waren. Das Dach als solches war als Ruhe- und Erholungsbereich eingerichtet und dem ganzen Gebäude, welches sonst primär aus Büros und Einrichtungen bestand, zugänglich. Es gab viele hölzernde oder nach Holz aussehende Elemente, sei es der Boden, Sitzmöglichkeiten oder auch Stehtische für die kurze Mittagspause. Hier und dort, insbesondere jedoch am Rand, war einiges an Büschen und kleinen Bäumen gepflanzt worden, sodass das Dach zumindest an regenfreien Tagen einen perfekten Rückzugsort darstellte, um einfach mal abzuschalten.

Ein sehr interessantes Gebäude beim Herumirren durch Downtown Manhattan
Das Flat Iron Building dieses Mal in der Abenddämmerung

Ohne großen Plan machten wir uns im Anschluss auf den Weg in Richtung Downtown. Wir quatschten über Gott und die Welt, über mein Studium und über seinen Weg nach New York und seine Tätigkeit. Außerdem erkundeten wir ein wenig das, was uns auf dem Weg lag. Dies war in erster Linie Greenwich Village, ein Viertel, welches aufgrund der New York University primär von Studenten geprägt wurde. Jene tummelten sich an dem Abend auch im Washington Square Park, dessen Eingang durch einen Mini-Triumpfbogen bereits aus der Entfernung ins Auge fiel. In dem Park gab es Tische zum Schach spielen, Straßenkünstler und ganz viele Leute, die einfach nur zusammen ihre freie Zeit genossen und sich vom Alltagsleben erholten. In dem Moment, aber auch jetzt, hat es mich fasziniert, dass es den Leuten genügt, in eine relativ kleine grüne Oase zu gehen, um abzuschalten und den Alltagstrott zu vergessen. Zudem nahm man diese „Bewegung“ als sehr warm war: Auch wenn ich in dem Park niemanden kannte, spürte ich gleich ein Gefühl von Wärme, was das oben genannte womöglich erklären mag.

Der Mini-Triumpfbogen
Die Bestandteile des Fish Taco - ich musste sie für das Foto nicht einmal anordnen

Nach unserem Streifzug bekamen wir doch irgendwann einmal Hunger und nach mehreren Lokalen, die alle sehr voll waren, fanden wir einen Platz im asiatischen Restaurant Mooncake Foods in der 28 Watts St. Da ich mich selbst nach einer Woche noch ein wenig mit dem Bestellen von Essen auf Englisch schwer tat (bzw. dem Lesen einer Karte insbesondere bei solch „exotischen“ Sachen), entschied ich mich für einen „Spicy Hoisin Fish Taco“, weil es vom Namen her interessant klang. Enttäuscht war ich ein wenig davon, dass der Taco einem als Bausatz an den Tisch gebracht wurde und man ihn sich selbst zusammenbauen musste. Enttäuscht daher, weil für den Zusammenbau auf dem Tisch einfach kein Platz war. Also machte ich aus der Situation das beste und kombinierte die einzelnen Bestandteile auf der Gabel, bzw. im Mund (leider kann ich mich jetzt nicht mehr daran erinnern, ob der Taco wirklich scharf war).

Von New York nach Australien…

Gestärkt setzten wir unseren Spaziergang durch New York fort und landeten (mal wieder?) am One World Trade Center, wobei wir uns die neu gebaute Subway-Station anschauten: Das Oculus getaufte Transit-Gebäude aus dem Neubau der Station nach den Anschlägen vom 11. September habe ich bereits auf dem Panorama-Foto vom Ausflug zu Ground Zero (Tag 2) abgelichtet, von innen erweckt es aber einen noch pompöseren Eindruck: Geht man von der Straße rein, steht man vor einem Geländer und blickt mehrere Meter in die Tiefen des Gebäudes. An den Rändern finden sich auf mehrere Stockwerke verteilt diverse Lokale und Shops, unter anderem ein Apple Store; funktionell ist das Oculus die Fußverbindung zwischen den PATH-Linien aus New Jersey und dem New Yorker Subway-Netz.

"Oculus" - Die WTC Subway-Station im Inneren
Ein Blick auf New Jersey bei Nacht

Wer sich wundert, dass das Gebäude auf den Fotos leer wirkt: Wir waren dort gegen 21:30. Ein Grund, um fortzufahren, was wir an der PATH-Linie taten, zumindest bis uns das Wasser des Hudson Rivers aufhielt. Dann wandten wir uns mit den Lichtern von New Jersey an unserer Rechten in Richtung Battery Park. Einen Teil des Parks kannte ich bereits vom Vortag, als es zur Freiheitsstatue ging. Aber nicht den Norden, wo die Cool Globes ausgestellt waren: Auf den ersten Blick unscheinbar standen dort ein halbes Dutzend an Globen, die je eine Höhe von rund zwei Metern hatten und verschiedene Motive aufwiesen. Am meisten hängen blieb ich dabei am geografischen Globus, denn hier hatte ich die Möglichkeit, einmal greifbar zu fühlen, wie weit ich jetzt eigentlich von zu Hause, von Deutschland, von Europa weg war und wie wenig ich dieses Gefühl während des bisherigen Aufenthalts hatte. Insbesondere, wo das meine erste Post-Europa-Reise darstellte, war dieser Moment mit ein wenig Gänsehaut verbunden.

Cool Globes: Die Welt zum Anfassen

Doch es wäre nicht ich, würde ich mir auf dem Globus nicht direkt andere Ziele vorstellen und deren Entfernung analysieren, ganz besonders faszinierte mich dabei der australische Kontinent. Dieser liegt ja bekanntlich am anderen Ende der Welt und so nutzte ich den Zwei-Meter-Globus und reiste einmal kurz nach Sydney und Wellington. Ich flog mit dem Finger gleich mehrere Male die Strecke Deutschland-Australien und wieder zurück, verglich dies mit Deutschland-New York sowie mit Deutschland-London, wo ich Anfang 2016 ja für drei Monate war, konnte die Entfernungen aber bis zum Ende nicht wirklich realisieren. Bart konnte in dem Moment allerdings etwas realisieren – und zwar, dass mein Fliegen mit dem Finger „über die Welt“ ein sehr interessantes Video-Motiv darstellte, also durfte ich noch ein paar Mal fliegen…

Ein erster Abschied

Vorbei durch das Bankenviertel steuerten wir – es war mittlerweile nach 22 Uhr – auf unsere (temporäre) Heimat zu: Brooklyn. Da wir ja schon ewig unterwegs waren und meine Füße das eh nicht mehr wahrnahmen, ging es über den East River mithilfe der Brooklyn Bridge, die ich an dem Tag damit zum dritten Mal zu Fuß überquerte. Bevor wir an der Subway-Station High St ankamen, hatte ich seit dem Times Square über 11km hinter mir. Zählt man die anderen beiden Überquerungen der Brooklyn Bridge dazu, waren es an dem Tag insgesamt über 20km – doch es war der letzte ganze Tag in der Stadt, die niemals schläft, daher konnte ich damit gut leben.
Womit ich weniger gut leben konnte (oder wollte) war der erste Abschied. Zu diesem kam es nämlich bei der Subway-Station, denn Bart und ich sahen uns vorerst nicht mehr wieder, da so ein Teich doch nicht so oft zu überqueren ist. Und ohne jetzt (zu) sentimental zu werden – es war kein einfacher Abschied.


Irgendwie weiß ich gar nicht, was ich hier jetzt schreiben soll. Auch wenn mein Ausflug nach New York und dieser Tag bereits über ein Jahr her ist, kann ich selbst jetzt dieses Gefühl nicht beschreiben, was mir beim Durchspielen des Tages ein Jahr später durch den Kopf geht. Insbesondere wo ich nicht der bin, der einfach auf andere zugeht, der den eigenen Schweinehund überwinden kann, um mit einem Schnippen neue Leute kennenzulernen. Da hat Bart die Geburtstagswoche in New York noch einmal zu etwas ganz besonderem und völlig unerwartetem gemacht. Dabei war es nicht mal der Kuchen oder das estnische Ständchen, sondern…
…sondern im Flieger nach New York mit der festen Überzeugung zu sitzen, die nächsten zehn Tage „allein“ zu verbringen. Und dass diese felsenfeste Überzeugung bereits nach wenigen Stunden in Luft aufgelöst wurde, wo ich rein theoretisch auch einen der anderen 18,9 Millionen New Yorker hätte treffen können … Der mich nicht in ein Gespräch verwickelt hätte … Sondern höchstens das Foto gemacht hätte, mir einen schönen Abend gewünscht und weitergegangen wäre…

Bevor ich jetzt zu viel vom Fazit des ganzen Ausflugs vorweggreife, fällt mir an dieser Stelle noch ein, dass mir Bart an dem Abend ein kleines Buch geschenkt hat. Es trägt den Titel „Poems of New York“ und ich habe gerade tatsächlich zum ersten Mal bewusst darin herumgeblättert und mir ein paar der Gedichte durchgelesen. Neben seinem Eintrag „Come back soon!“ bin ich dabei insbesondere beim Gedicht „Fear“ von Grace Paley hängengeblieben, was ich einen gelungenen Abschluss des Blogeintrags finde:

Fear (Grace Paley)
I am afraid of nature
because of nature     I am mortal

my children and my grandchildren
are also mortal

I lived in the city for forty years
in this way I escaped fear

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